Mittwoch, August 30, 2006

Adams Äpfel - How Deep is Your Love?


DK 2005

+++1/2

Der dänische Regisseur und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen ist ein echtes Multitalent und als solches in vielen Genres zu Hause. Sein neuestes Werk besticht durch einen ungebremsten schwarzen Humor, eine ungewöhnliche Bildsprache und die bedindungslose Hingabe für jeden einzelnen Charakter. Das Ergebnis beeindruckt und schenkt uns einer der erfrischendsten Kinoerlebnisse in diesem Jahr. Sehen und wohlfühlen! Bei Critic.de lasse ich meiner Begeisterung freien Lauf!

Dienstag, August 29, 2006

Miami Vice - No more Pink Flamingos

USA 2006

+++1/2


Es wird gebahnt ein Weg durch Gewalt.“
(Vergil)


Nacht über Miami. Die Schwüle des Tages entlädt sich in einem beeindruckenden Sommergewitter. Blitze zucken, Donnerhall. Und aus einer Discothek hämmern hypnotische Beats. Das ist die Welt von James „Sonny“ Crockett und Ricardo Tubbs. In der Kinoadaption der legendären 80er-Designervorführung in flockigen Pastellfarben ist das Künstliche aus dem Bild verbannt worden. Stattdessen herrscht ein ganz anderer fast schon naturalistischer Ton vor. Von der ersten bis zur letzten Minute. Hier ist das Gefühl der fiebrigen Florida-Hitze mit allen Sinnen zu greifen. Sogar der Geschmack des Mojitos zergeht einem beim Zusehen auf der Zunge. Wem wir das zu verdanken haben? Einzig Michael Mann und seinem Partner hinter Kamera: Dion Beebe. Was bereits bei Manns letztem Film „Collateral“ zumindest als dichtes Stimmungsbild funktionierte, führen beide in „Miami Vice“ nahe an einen Punkt der Perfektion. Das Aufsaugen der verlorenen aber dennoch hoffnungsvollen Atmosphäre vernebelt einem als Zuschauer die Sinne. Das hat natürlich Kalkül, lenkt es doch davon ab, dass der Plot eigentlich nicht dazu taugt, um über 130 Minuten ausgewälzt zu werden.

Klar es geht um Drogen, vielleicht noch andere illegale Geschäfte, Waffen, das übliche halt. Als Undercover-Cops sollen Crockett und Tubbs das Netzwerk eines mächtigen Kartellchefs (Luis Tosar) durchleuchten, Deals verfolgen, um so einen Maulwurf in den eigenen Reihen zu identifizieren. Geschenkt. Zumal sich der Film am Ende selbst nicht darum schert, den Oberschurken zu enttarnen. Wer nach der nicht vorhandenen Exposition sich noch ernsthaft fragt, wann endlich der Cadillac durchs Bild gefahren kommt, während die Flamingos der Sonne entgegen flattern, dem muss Michael Manns sehr freie Überarbeitung der Serie, die er einst als ausführender Produzent begleitete, wie eine chinesische Wasserfolter kommen. Tropfen für Tropfen schwindet die Hoffnung, eine Reise zurück in die eigene Jugend/Kindheit unternehmen zu können. Das tut weh, besonders dann, wenn man sich nicht von den Prinzipien der Serie lösen kann oder will. Alle anderen, die nicht irgendwelchen Sentimentalitäten nachhängen, können von der Lässigkeit und Eitelkeit des Films und seiner Macher angeekelt sein. Denn schon lange hat uns ein Film nicht mehr so dreist entgegen geschrieen: „Seht her! Wir haben zwei echte Hollywood-Beaus, viele Knarren, aufgemotzte oder neudeutsch gepimpte Karren und unzählige heiße Babes am Start. Und damit drehen wir ein Ding, das sich einen Dreck um Eure Erwartungen schert!“

Ernstsein will gelernt sein, ebenso wie Coolsein. Und in beidem sind Crockett und Tubbs wahre Meister. Oder sollen wir besser von Farrell und Foxx sprechen? Viel eher als die beiden Miami-Cops spielen beide nämlich ihr eigenes Image. Farrell der Womanizer, Foxx der knallharte übercoole Macker. Da wird das Duschen wie einst bei Will Smith in „I, Robot“ zu einer Zelebrierung der eigenen Männlichkeit. Frauen sind dazu da, um einem den Rücken einzuseifen, wenn sie sich nicht gerade von den Liebeskünsten zu überzeugen haben. Das alles ist nichts weiter als ein einziges gigantisches Muskelspiel oder – ordinärer ausgedrückt- ein überlanger Schwanzvergleich. Und doch, wer sich die Mühe macht hinter die testosterongetränkten Posen zu blicken, der entdeckt womöglich, wie zwei einsame Herzen in ihrer Brust nach Sauerstoff lechzen. Nicht das Adrenalin hält diesen Muskel am Schlagen, sondern die (unerfüllte) Sehnsucht nach echter Intimität. Tubbs hat seine Liebe bereits gefunden, Sonny probiert und wirft weg, probiert und wirft weg. Bevor er seine neueste Eroberung (Gong Li) entsorgen kann, droht er selbst zum Spielball zu werden. Ein Bauernopfern in einem größeren Krieg. Denn seine Geliebte ist die engste Vertraute des Kartellchefs und somit eigentlich emotionales Sperrgebiet. Die Betonung liegt auf „eigentlich“.

Schrieb ich eingangs, dass Michael Mann kein wirkliches Interesse für seinen gewöhnlichen Plot aufbringen kann, weil er an der Form hängt und diese zur Perfektion treibt, dann klingt das negativer, als es gemeint war. Die von Kameramann Dion Beebe weiterentwickelte Arbeit mit Digitalaufnahmen verleihen „Miami Vice“ einen Look, der als atemberaubend zu bezeichnen noch einer mittelschweren Untertreibung gleichkommt. In Kombination mit einem erstklassigen Sounddesign ist die Illusion von „Sex & Crime“ in einer rauen lebensfeindlichen und zugleich zum Sterben schönen Szenerie perfekt. Der Ausflug von Sonny und seiner mysteriösen Geliebten nach Kuba, das scheinbar schwerelose Gleiten über den nebelbedeckten Regenwald oder die als Hintergrundbild verwendeten Lichter der Großstadt Miami, kein Bild möchte man hinterher missen, keine Einstellung verpassen. Nicht, dass es für die filmische Handlung notwendig wäre, nein (viel schlimmer) es ist der reine Luxus, den man von Mann vorgesetzt bekommt. Parallelen zu Malicks „The New World“ tun sich auf. Doch während letzterer mit seiner esoterisch-kitschigen Penetranz aus Bilderrausch, Voice-Over und Farrells Dackelblick nach spätestens einer halbe Stunde nur noch schwer goutierbar wurde, passt bei „Miami Vice“ die brillante Form zu einem Inhalt, der, wenn nicht durchgehend spektakulär, aber stets die Unsicherheit in sich birgt, nach allen Seiten ausbrechen zu können. Alles ist möglich, niemand ist sicher. Das ist beklemmender, als ein maßloses Schwelgen in hirnlosen Explosionen und selbstreferentieller Action.

Dabei verfügt „Miami Vice“ mit Michael Mann über einen Regisseur, der es versteht, physische Auseinandersetzungen mit ungebremster Härte und Rohheit in Bilder zu übersetzen. Wenn die Waffen sprechen, zucken wir unweigerlich zusammen. Die Gewalt ist ähnlich ungefiltert wie in Manns Opus „Heat“. Die MG-Salven durchbohren nicht nur Körper, sie überbrücken zugleich die Distanz zwischen uns und der Leinwand. Die energetische Kameraführung und der Verzicht auf eine musikalische Untermalung fungieren als Verstärker. So roh fühlte sich Gewalt nur selten an. Ja, Fühlen ist das richtige Stichwort. Für ein Werk, das rational betrachtet verzichtbar ist, dass man aber nach der ersten Ansicht nicht mehr missen möchte, weil es sich so anfühlt, als ginge es um Kino, das keine Kompromisse kennt.

Erschienen bei Kino.de.

Samstag, August 26, 2006

Zuletzt gesehen

Shortbus (+++) von John Cameron Mitchell

Das Parfum (++1/2) von Tom Tykwer

Snakes on a Plane (++1/2) von David R. Ellis

Mittwoch, August 23, 2006

Der freie Wille - Gegen die Wand

D 2006

++1/2

Psycho-Studien sind per se ein heikles Sujet. Weil vieles nur gedacht und somit ungesagt bleibt, weil sich innere Widersprüche und Ängste nur schwer visualisieren lassen, müssen fast zwangsläufig viele filmische Umsetzungen scheitern. Egal ob aus einem Defizit an handwerklichen Fähigkeiten oder falschem Ehrgeiz der Filmemacher. Wenn sich dann eine solche Rekonstruktuion des Ichs mit einer Person beschäftigt, die gemeinhin nur Verachtung und Abscheu entgegengebracht bekommt, wird aus der heiklen Mission eine brandgefährliche. Regisseur Michael Glasner konzipierte mit Schauspieler Jürgen Vogel und Autorin Judith Angerbauer das Fallbeispiel eines mehrfachen Vergewaltigers, der nach neun Jahren im Maßregelvollzug in eine neue Freiheit entlassen wird. Theo (Jürgen Vogel), so sein Name, muss sich an diese veränderte Situation gewöhnen. Unter der Aufsicht eines Sozialtherapeuten (André Hennicke) lebt Theo fortan in einer Männer-WG. Mit Kampfsport und Fitnessübungen versucht er, seine unterdrückten Triebe zu kanalisieren und zu beherrschen. Dabei wird ihm schmerzlich bewusst, dass sich manches einfach nicht beherrschen lässt. Das, was ihn einst ins Gefängnis brachte, ist noch immer in ihm. Es gräbt sich den Weg an die Oberfläche, unaufhaltsam, Schicht für Schicht.

Auch als Theo Arbeit in einer Druckerei findet und so Nettie (Sabine Timoteo), die Tochter des Chefs, kennenlernt, keimt nur kurzzeitig Hoffnung auf. Zwar findet er nach einem missglückten Anlauf in ihr schließlich die lange erhoffte Partnerin, seinen inneren Frieden findet er jedoch auch mit Nettie nicht. Wie bleierne Gewichte hängt die Vergangenheit an ihrer Beziehung und an Theos Seelenleben. Was werden sich Glasner und sein Co-Autor und Co-Produzent Vogel nicht alles an Kritik anhören müssen, vermutlich zumeist von Leuten, die den Film gar nicht gesehen haben. Von der moralischen Frage nach der Zentrierung der Perspektive auf den Tätern bis hin zu einem vorschnellen Plädoyer für ein lebenlanges Wegsperren von Sexualstraftätern dürfte die lange Liste der falschen Anschuldigungen reichen. Den einen wird Vogels Darstellung zu mitleidshaschend sein, wiederum anderen dürfte der explizite Umgang mit Sexualität und der Tat zu weit gehen.

Gerade letzteres zeigt „Der freie Wille“ schonungslos und direkt. Der menschenverachtende Akt der Vergewaltigung wurde vielleicht nur in Gaspar Noés Rachedrama „Irreversibel“ ähnlich verstörend eingefangen. Theo fällt keuchend, atemlos und voller Hass über das Opfer her, fesselt es, schägt es brutal zusammen und vergeht sich dann an der wehrlosen Frau. In dem Glasner die Tat an den Anfang seines fast dreistündigen Werks stellt, eingefangen mit dem in diesem Kontext durchaus sinnvollen Stilmittel der Handkamera, baut sich gleich zu Beginn eine moralische Hemmschwelle zwischen Theo und dem Zuschauer auf, die sich auf die abstoßenden Bilder der Tat gründet. Alles, was dieser Theo macht, sagt und denkt, verlangt nach einer vergleichenden Bewertung. Wo hört er, der die Würde seiner Mitmenschen achtet, auf, wo fängt der scheinbar pathologische Kriminelle an? An der Schnittstelle blicken wir auf Theo und damit in ein tiefes schwarzes Loch.

Vogel gibt Theo als einen Getriebenen, als einen Menschen, der Unglück über andere und sich selber bringt, und das obwohl er weiß, was er da tut. Für seine herausragende Leistung bekam Vogel den Preis als Bester Darsteller beim renommierten New Yorker Tribeca Filmfestival verliehen. Neben seiner ausgeprochen körperlichen Herangehensweise, die zuweilen an Robert DeNiros Spiel in „Taxi Driver“ nicht nur wegen der Parallelen in der sportlichen Betätitgung erinnert, beeindruckt, wie es ihm gelingt, das abstrakte Psychogramm eines komplexen Charakters auf einzelne konkrete Gesten und Manierismen herunterzubrechen. Mit leichtem Überbiss, einer verkrampften, verunsicherten Körperhaltung und einem unruhigen Blick entsteht so vor unseren Augen das Bild eines Mannes, der unter der Last seines Wesens zusammenbrechen muss. Es ist eher Mitgefühl, denn Mitleid, was sich für Theo einstellt, ohne dass es jemals zu einer falschen Relativierung seiner Verbrechen käme.

Die ersten zwei Stunden stehen ganz im Zeichen von Theos Kampf gegen die eigenen inneren Dämonen. Es erstaunt, wie mühelos es Glasner gelingt, uns eine gänzlich andere Perspektive auf uns selbst und unsere Gesellschaft aufzuzeigen. Da wird mitunter ein im von den meisten kaum mehr beachtetes Werbeplakat mit halbnackten Menschen für Theo zu einer fast schon existenziellen Prüfung, oder einige Mädels in bauchfreiem Top zu einer, auch für den Zuschauer, schweißtreibenden Angelegenheit. Wir spüren: Es fehlt nur ein Funke und die Situation würde eskalieren. Spannender als das Gros der Thriller- und Horrorbeiträge sind Theos einsame Spaziergänge durch neonlichtüberflutete U-Bahnhöfe und dunkle Seitenstraßen. Die Angst sitzt ihm im Nacken. Ein potentielles Opfer ist immer in Sichtweite, fixiert von Matthias Glasners energetischer Handkamera.

Dass „Der freie Wille“ trotz all der zuvor beschriebenen Vorzüge dennoch nicht überzeugt, oder härter formuliert, sogar enttäuscht, liegt an der Entscheidung, Netties Person mit einer fast unerträglichen artifiziellen Tristesse auszustatten, die den Film wie Kaugummi in die Länge zieht. Nahezu die komplette letzte Stunde gehört ihr und ihrem emotionalen Vakuum, was sie dank Theo hofft, wieder auffüllen zu können. Allerdings ist sowohl sie als Person als auch das gestörte Verhältnis zu ihrem Vater viel zu nebulös angelegt. Das hier ist Theos Geschichte, Netties Praktikum bei einem belgischen Chocolatier-Meister und der dümmliche schlichtweg überflüssige Racheakt eines Opfers führen zu Nichts. So bleibt das (über-)ambitionierte Projekt in packenden 120 Minuten stecken, denen man dabei zusehen kann, wie sie schlussendlich in Zeitlupe gegen die Wand gefahren werden.

Montag, August 21, 2006

Little Man - Mini-Me trifft 50Cent

USA 2006

Null Sterne

Die Wayans versuchen sich an einer weiteren billigen Zoten-Klamotte mit einer schwarzen Mini-me-Ausgabe in der Hauptrolle. Nur mit ganz ganz viel Alkohol im Blut wohl unbeschadet zu ertragen, unterbietet dieser Schwachsinn sogar Filmkunst wie "Deuce Bigelow" mühelos (dazu passt dann auch, dass Rob Schneider einen kurzen Gastauftritt hat). Zum Glück ist an mir sowohl "White Chicks" als auch "Soul Plane" ungesehen vorbeigezogen. Weil aber nicht alle guten Dinge Drei sein können, musste mich nun dieser kleiner Scheisser erwischen. Irgendwo angesiedelt zwischen missglückter Hip Hop-Parodie und der Afro-Ausgabe von "Guck mal wer da spricht" sind sich die Wayans für keinen Fäkalscherz zu schade. Damit stellt sich ihr filmsicher Sondermüll auf eine Stufe mit dem ebenfalls im nüchternen Zustand unerträglichen "Mein verschärftes Wochenende". Wäre das Abendland nicht bereits lange untergegangen, "Little Man" hätte ihm wohl endgültig den letzten Rest gegeben. Ich fordere hiermit mein Geld zurück.

Sonntag, August 20, 2006

Die Quereinsteigerinnen - Ode an die Unprofessionalität

D 2006

+++

Neben "Emmas Glück" startet diese Woche mit "Die Quereinsteigerinnen" ein weiterer sehenswerter Film aus deutschen Landen in ausgesuchten Programmkinos. Die beiden Kölner Regisseure Rainer Knepperges und Christian Mrasek (beide sind Mitglieder der "Kölner Gruppe" an) erzählen im Stil eines Urlaubsvideos die absurde Geschichte von zwei Freundinnen (dargestellt von Nina Proll und Claudia Basrawi), die den Chef eines großen deutschen Telekomkonzern entführen, um so ihrer Forderung nach einer Wiederafustellung der alten gelben Telefonzellen Nachdruck zu verleihen. Klingt nicht nur bescheuert, ist es auch. Der Charme des Amateurhaften liegt über dem Projekt "Rettung der Telefonzellen" ebenso wie über dem gesamten Film. So als hätten Christoph Schlingensief und Helge Schneider eine Neuverfilmung von "Die fetten Jahre sind vorbei" gedreht, lebt die Satire von ihrem trashigen 70er-Jahre-Gefühl und dem für den Zuschauer sichtbaren Spaß aller Mitwirkenden. Heimorgel, Mensch-ärgere-Dich-nicht und Eierlikör, was braucht man mehr, um glücklich zu sein? Alles weitere gibt es bei Critic.de schwarz auf weiß nachzulesen.

Donnerstag, August 17, 2006

Emmas Glück - Ein Tanz auf der Schwelle zwischen Leben und Tod

D 2006

+++1/2

Die Liebesgeschichte dieses Kinosommers spielt auf einem Bauernhof im Bergischen Land. Emmas Glück, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Claudia Schreiber, wartet nicht nur mit einem abermals couragiert spielenden Jürgen Vogel auf, ihr gelingt zudem der schwierige Drahtseilakt zwischen komischen und tragischen Momenten. Ein Film über das Sterben, besonders dann, wenn ein noch junger Mensch einen solchen Schicksalsschlag hinnehmen muss, läuft stets Gefahr, sich in Melodramatik und platten Sentimentalitäten zu verlieren. Beides trifft auf Emmas Glück jedoch nicht zu. Ein stilles, bereicherndes Kinoerlebnis. Meine Besprechung lässt sich auf Critic.de nachlesen.

Mittwoch, August 16, 2006

Brick - Nach außen gemein, im Herzen rein

USA 2005

++

Ein Film als Experiment. Das auf dem Sundance Filmfestival gefeierte Debüt von Rian Johnson vermischt den Schauplatz einer Highschool mit den Elementen einer klassischen Detektivgeschichte. Im Mittelpunkt steht der Außenseiter Brendan, gespielt von Nachwuchshoffnung Joseph Gordon-Levitt, der sich in einem undurchsichtigen Netz aus Gewalt, falschen Verdächtigungen und heimtückischen Fallen verstrickt. Johnsons unbändiger Drang zur Stilisierung macht aus Brick ein ungewöhnliches aber emotional zuweilen äußerst unbefriedigendes Spiel mit den Zutaten eines Film Noir.

Filmkritik:

Eigentlich hat sich Brendan (Joseph Gordon-Levitt) auf ein Leben als Außenseiter eingerichtet. Nur wenige lässt er an sich heran, nur wenige interessieren sich überhaupt für ihn. Auf der Highschool geht er seinen Mitschüler zumeist aus dem Weg. Mit einem mysteriösen Anruf seiner Ex-Freundin Emily (Emilie de Ravin) soll für ihn alles anders werden. Sie erzählt ihm von einem schweren Fehler, der sie begangen habe. Verschüchtert, ängstlich, verwirrt klingt sie. Noch bevor Brendan weitere Fragen stellen kann, bricht das Gespräch ab. Der Abstieg in die Hölle hat begonnen.

Auf dem Weg dorthin begegnet er vielen Charakteren, die zum festen Inventar eines jeden Film Noir gehören. Egal ob es sich bei diesem um Die Spur des Falken oder Chinatown handelt. Eine geheimnisvolle Schöne (Nora Zehetner), die Femme Fatale in Brick, versucht Brendan zu verführen, ein mächtiger Drogendealer namens The Pin (Lukas Haas) hetzt seinen Schläger Tug (Noah Fleiss) auf ihn los.

Das ist eigentlich die Welt eines Dashiell Hammett. Auch ein James Ellroy oder Raymond Chandler dürften sich in einem solchen Universum zu Hause fühlen. Regisseur und Drehbuchautor Rian Johnson überträgt das so vordefinierte und bekannte Koordinatensystem auf den genrefremden Tatort einer gewöhnlichen Highschool. Man würde wohl kaum auf die Idee kommen, dort den Schauplatz dieses tödlichen Crime-Coktails zu vermuten. Doch mit einem simplen Kulissenaustausch ist es für Johnson nicht getan. In Habitus, Wortwahl und Stil orientiert sich Brick konsequent an den von Nihilismus durchzogenen Klassikern der Schwarzen Serie.

Das hat zur Folge, dass die im Teenageralter befindlichen Protagonisten reden und handeln, wie es weder in seichten Komödien noch in realistischen Jugenddramen der Fall wäre. Sie verhalten sich von der ersten bis zur letzten Szene atypisch, ihre Gesten erstarren zur Pose, ihre Gefühle wirken fast zwangsläufig unecht. Joseph Gordon-Levitt versucht sich an einer adoleszenten Humphrey Bogart-Kopie. Die Hände tief in der Jackentasche vergraben, der Gang schleppend, die Haltung stets etwas gebeugt. Es fehlen lediglich der Trenchcoat und die Kippe im Mundwinkel, dann wäre das Bild des jungen Sam Spade perfekt. Da ist es nur gerecht, wenn ihm in der Auflösung einer der spärlich gesäten wirklich mitreißenden Szenen zugedacht wird. Im Schnelldurchlauf entwirft der Film hier ein Szenario, dass jedwede Hoffnung vermissen lässt. Für kurze Zeit, so scheint es, kann man Hammetts Herz schlagen hören.

So sehr Johnsons Idee der Charme des Neuen und Unverbrauchten anhaftet, in der Umsetzung stolpert sein ambitioniertes Projekt desöfteren über den erzwungenen Zusammenprall zweier Welten, deren Gemeinsamkeiten sich am besten mit dem Bild einer leeren Menge beschreiben lassen. Film Noir und Jugenddrama wollen so recht nicht zueinander passen. Es entsteht alsbald der Eindruck, Zeuge einer filmisch interessanten Fingerübung zu werden, der es allerdings nie wirklich gelingt, überzeugend eine eigenständige Kriminalhandlung zu etablieren. Bestenfalls ließe sich Brick als ungewöhnliche Hommage an die Schwarze Serie klassifizieren. Etwas wenig, wo doch die zitierten Vorbilder einen Abwärtsspirale entfachen, aus der es für niemanden ein Entrinnen gibt. Bei Brick fühlt man sich trotz manch eruptivem Gewaltausbruch wohl behütet. Mama und Papa, die nebenan warten und bei Gelegenheit die Getränke servieren, sei Dank.

Erschienen bei Programmkino.de.

Dienstag, August 15, 2006

Lauschangriff #3

Der dritte Lauschangriff ist endlich fertig. Ich habe ganz aktuell einen Film mit rein genommen, den ich erst heute gesehen habe. Es gab unter den besprochenen Filmen eine positive Überraschung, eine Enttäuschung und ein ganz passables Kinoerlebnis, dass ich aber abschließend noch nicht ganz beurteilen kann.

Lauschangriff#3

mit

Brick

Friends with Money

Sommer 04

Viel Spaß dabei! Feedback immer erwünscht!

Samstag, August 12, 2006

Urmel aus dem Eis - Uuuurrrrmeeeliiiiii

D 2006

+++

Ein Klassiker. Das "Urmel aus dem Eis", die Erzählung von Max Kruse, kennen Millionen und nicht wenige haben das grüne Dino-Baby in ihr Herz geschlossen. Die Verfilmung der Augsburger Puppenkiste ist legendär, Kult, um ein arg strapaziertes Wort zu gebrauchen. Nun gibt es das Urmel und seine tierische Crew auch in schöner CGI-Optik zu bewundern. Das sieht erstaunlich detailverliebt aus, wenngleich das Team um Holger Tappe und Reinhard Klooss natürlich nicht ganz mit den Trickkünstlern aus den USA mithalten kann. Die Umsetzung hält sich stark an die Vorlage und dürfte vor allem für die kleinen Kinogänger ein ganz besonders unterhaltsames Filmabenteuer sein. Meine Kritik steht bei critic.de online.

Donnerstag, August 10, 2006

FFF 2006 - 13 (Tzameti), H6 & Behind the Mask

13 (Tzameti)

+++1/2

Und da haben wir ihn: den aufwühlenden, mitreißenden Abstieg in die Hölle. Eine andere Variante von HOSTEL, schildert 13(TZAMETI) Abgründe, die man so nicht für möglich halten möchte, die aber wohl dennoch existieren. Regisseur Gela Babluani dreht sein existenzialistisches Thriller-Drama in schwarz-weiß, was die Kontraste besonders hervorhebt und im zweiten Teil eine äußerst kalte, bedrohliche Stimmung erzeugt. Unterschätzen sollte man auch nicht die Nachwirkungen, die sein Film auslöst. Noch lange bleiben einem die Bilder im Gedächtnis, durchlebt man innerlich die Qualen der Opfer bzw. versucht sich in diese hineinzuversetzen. Kinematographisch und dramaturgisch ein Ausnahmefilm. Eine auführliche Besprechung wird sicherlich noch folgen.


H6: Diary of a Serial Killer

++1/2

Antonio Frau gehört zu den Psychopathen, die ihr Handeln mit religiösen Motiven erklären wollen, die gerne klassische Musik hören und sich auch sonst gern intellektuell geben. Auch hat er sonst einige Gemeinsamkeiten mit dem berühmten Hannibal Lector. Daraus wird ersichtlich: H6 bedient sich im großen Fundus der Serienkiller, wobei es ihm sichtlich an einer eigenen Note mangelt. Auch bemüht der Film wieder nur die üblichen Muster, bis hin zu klischeebesetzten Nebenfiguren. Handwerklich macht H6 schon was her, elegant zrikuliert die Kamera durch die Räume der heruntergekommenen Pension, verfolgt sie Antonios "Wirken". Und auch Fernando Acaso macht seine Sache nicht wirklich schlecht. Warum der Film dennoch nicht überzeugen kann, ist schwer zu sagen. Vermutlich nagt an ihm die Last seiner Vorbilder. Auch sind Antonios Monolge eher etwas für ein Priesterseminar, als für einen verstörenden Serienkillerfilm. Aus den üblichen Grundfesten des Genres kann H6 jedenfalls zu keiner Zeit ausbrechen.

Behind the Mask

+++

Eigentlich eine selbstverliebte und selbstverspielte Liebeserklärung an das Serienkiller/Slasher-Kino, macht BEHIND THE MASK besonders in den ersten 60 Minuten ungemein viel Spaß. Wer sich nur etwas im Genre, angefangen von FREITAG der 13. bis NIGHTMARE ON ELM STREET, auskennt, dürfte in den Zustand des Dauergrinsens verfallen. Selten hat ein Film so mit den Gesetzen des Genres gespielt, besonders gegen Ende denkt er sein zuvor entworfenes Szenario konsequent weiter. Das sorgt dann zwar weniger für echte Spannung (an dieser mangelt es BEHIND THE MASK fast zwangsläufig), dafür möchte man Regisseur Scott Glosseman ob seiner selbstbewussten Zerlegung des Horrormythos stehend applaudieren. Noch lange werde ich an die unzähligen genialen Ideen denken müssen. Allein schon wie Leslie seinen Plan en detail der verduzten Journalistencrew darlegt, wie der Film dabei satirisch mit den Ritualen des Horrorkinos arbeitet, ist das Eintrittsgeld mehr als wert. Ein rundum zufriedenstellender Abschluss des diesjährigen FFF!


Fazit des FFF 2006: Ein überdurchschnittliches Programm, jedenfalls trifft das auf die von mir besuchten Filme zu. Nur ein wirklicher Reinfall (Bad Blood), was aber vermutlich auch an mir lag, kann ich mit solch religiös-übersinnlichen Werken nicht wirklich viel anfagen. Dafür eine Reihe höcht unterhaltsamer und provokanter Filme gesehen, die eine gute Chance auch auf eine Kinoauswertung haben dürften. Ich denke da besonders an The Method und 13. Und dank Hatchet und Severeance fließt auch wieder neues Blut in den zuletzt etwas ausgetrockneten Adern des Splatter-Genres. Auf ein Neues in 2007!

Mittwoch, August 09, 2006

FFF 2006 - Hatchet & Scared

Hatchet

+++

Neben SEVERANCE das Spaß-Highlight des Festivals. Regisseur und Autor Adam Green macht dem Old School-Slasher-Splatter-Genre alle Ehre. Seine Tour durch die nebligen Sümpfe Louisianas verbreitet zwar weniger echte Thrills, dafür eine Extraportion gute Laune zum blutigen Hauptgericht. Der Serienkiller, eine bösartige Ausgabe des "Elephant Man", schlachtet sich ohne Skrupel durch den mit den üblichen Stereotypen besetzten Cast. Dabei weiß Green aber immer wieder zu überraschen, inklusive seiner bösartigen Schlusspointe. Schon lange nicht mehr so zufrieden einen Horrorspaß verlassen. Ich freue mich schon auf Greens nächstes Projekt.

Scared

++1/2

Wie erwartet eine einzige hirnlose Metzelorgie mit zusammengeklauten Todesarten und sogar ganzen Episoden aus anderen Filmen. Besonders Ajas HAUTE TENSION scheint es den Machern angetan zu haben, werden davon doch gleich zwei Sequenzen dreist abgekupfert. Von einer Hommage würde ich nicht sprechen wollen. Die Auflösung des Ganzen ist aber zumindest so streitbar wie das Ende aus HAUTE TENSION, dabei stört es aber weniger, weil man den Film als Ganzes nicht ernst nehmen kann. Dafür spielen die Darsteller zu überdreht, dafür fehlt es an allen Ecken und Enden an Logik und einem schlüssigen Plot. Das klingt jetzt alles negativer, als es gemeint ist, eignet sich SCARED doch gerade für das FFF als kurzweiliger Ausklang eines Festivaltages.

Samstag, August 05, 2006

FFF 2006 - The Method & Shadow: Dead Riot

The Method

+++

Es wird von mir zu dem Film noch eine ausführliche Kritik folgen, deshalb nur soviel: THE METHOD ist ein spannendes psychologisch fein ausgearbeitetes Kammerspiel um modernes Karrierestreben und dessen Schattenseiten. Mitunter zynisch, gelingt es Regisseur Pineyro mit geringem Aufwand einen maximalen Effekt zu erzielen. Das dialoglastige Drama wird nie langweilig oder uninteressant.

Shadow: Dead Riot

+++

Äh ja, das nennt sich wohl Trash oder? Also unter dieser Prämisse fand ich es herrlich. Sicherlich kein Vergleich mit der Güteklasse mancher Peter Jackson-Frühwerke aber dermaßen unteridisch schlecht in allen Belangen (Schauspieler, Effekte, Story), dass es eine wahre Freude ist. Zombies im Lesben-Knast wäre eine kurz Umschreibung des "Plots", der ohnehin nur ein billiger Vorwand ist, damit die Kamera auf die nackten Körper der Gefängnisinsassinen draufhalten kann. Da dürfen ausgiebige Duschszenen natürlich nicht fehlen, ebenso wie die ungemein geschmacklose Vermischung von Sex & Crime. Der perfekte Partyfilm für das FFF.

FFF 2006 - Secuestro Express & Storm

Secuestro Express

++1/2

Ordentlicher Crime-Thriller aus Venezuela mit Mia Maestro in der Hauptrolle als Entführungsopfer. Nach einer viel zu hektischen, unübersichltichen und unnötig mit einer wackligen Handkamera gefilmten Einleitung, nimmt der Film aber im positiven Sinn Tempo auf. Die eigentliche Handlung ließe sich am besten als ein Mix aus "Amores Perros" und Guy Ritchies Gangsterfilmen beschreiben, ohne dass sie dabei an die Klasse der eben genannten heranreichen würde. Dafür fällt dem Regisseur zu wenig Neues ein und auch die Spannungskurve erhält immer wieder kleine Dämpfer. Solide gemacht, aber auch ein Film, der schnell vergessen sein wird.

Storm

++1/2

Schweden haben Stil. Die beiden Regisseure Mans Marlind und Björn Stein liefern optisch eine beeindruckende, für sein Budget unglaublich stilsichere Fantasy-Story ab, die leider an den Irrungen und Wirrungen des eigenen verqueren Plots krankt. Auch die Auflösung, die sich scheibchenweise dem Zuschauer eröffnet, ist unnötig kompliziert und von anderen Werken zusammengeklaut. Vermutlich auch deshalb, weil STORM selber nicht wirklich Substanzielles zu erzählen hat. Wenn man schreibt, dass es in dem Film um die Macht der Verdrängung und eine neue Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit geht, klingt das bedeutungsschwerer, als es in der Tat gemeint ist. Immerhin unterhält STORM mit einer Reihe netter Einfälle, seinem trockenen Humor und seinem Gespür auch für die zahlreichen ruhigen Momente.

Donnerstag, August 03, 2006

Volver - No Man's Land

ESP 2006

++

Pedro Almodovar, Spaniens einziger aktueller Filmemacher von Weltrang, kehrt mit "Volver" in seine ländliche Heimat La Mancha zurück – und zu den Sujets, die viele seiner früheren Dramödien bereits bestimmten. Das angeblich schwache Geschlecht erlebt bei Almodovar seine Ehrerbietung auf einer knallbunten Bühne. Männer sind da höchstens eine verzichtbare Beilage, die meist unsanft ins wohlverdiente Jenseits befördert wird.

Paco (Antonio de la Torre) kann von letzterem ein Lied singen, zumindest hypothetisch. Nachdem er sich seiner Stieftochter Paula (Yohana Cobo) unsittlich näherte, findet er sich blutüberströmt auf dem heimischen Küchenboden wieder, mausetot. Raimunda (Penélope Cruz), Paulas Mutter, nimmt die Vertuschungsaktion höchstselbst in die Hand. Um unliebsamen Fragen zu umgehen, verschwindet der Gatte kurzerhand in der Kühltruhe des benachbarten Restaurants. Für einen echten Almodovar wäre ein simpler Plot im schwarzhumorigen Gewand einer Coen-Farce sicherlich zu wenig. Deshalb muß sich die resolute Kämpferin Raimunda zusätzlich mit der Beerdigung der geliebten Tante und den zunächst unerklärlichen Stimmungsschwankungen ihrer Schwester Sole (Lola Duenos) herumschlagen. Was Raimunda nicht weiß: der Geist ihrer verstorbenen Mutter (Carmen Maura) ist aus dem Nichts aufgetaucht und bei Sole eingezogen.

Mit tragikomischen bis absurden Frauen-Geschichten begann Almodovars Einzug in den cineastischen Olymp. Wie als Beweis, daß er es auch anders kann, schlug er in seinen letzten beiden Filmen "Sprich mit ihr" und "La mala Educacion – Schlechte Erziehung" einen anderen, weitaus düsteren Ton an. Außerdem verzichtete er darauf, die bei ihm stets präsente homoerotisch aufgeladene Ikonographie noch weiter hinter schrillen Primadonnen in High Heels zu verstecken. Wenn die Kamera Gael Garcia Bernal bei dessen Wasserspielen im sonnendurchfluteten Swimming Pool beobachtete, nahm das schon fast rauschhafte Züge an. In "Volver" ist von dieser ästhetisch höchst anspruchsvollen Bildsprache nicht mehr viel übrig geblieben. Enttäuschend banal sieht und fühlt sich Almodovars Geschichte über drei Generationen von Frauen an. Die Mis-en-Scène hat keinen besonderen Wiedererkennungswert, ein sinngebenes Spiel mit Brennweiten, Schärfen und Perspektive findet kaum statt.

Der unspektakuläre Aufbau des filmischen Raumes findet seine Entsprechung in den übrigen standardisiert und für Almodovars Verhältnisse sehr limitiert erscheinenden Produktionswerten. Würde Penélope Cruz nicht eine emotional aufgeladene Gesangseinlage zum Besten geben, der Soundtrack mit seinen dezenten Folklore-Elementen würde an einem womöglich unberührt und ungehört vorbeiplätschern. Die experimentierfreudige Zeit, das signalisiert uns Almodovar mit "Volver", gehört augenscheinlich der Vergangenheit an. Jetzt mit 56 Jahren ist man(n) in einem Alter, wo die Lust, filmisch auch einmal neue Wege zu beschreiten, spürbar nachläßt. Trotz einer verführerischen Schönheit wie Penélope Cruz, deren Darstellung die Hingabe für ihren Charakter erahnen läßt, blendet "Volver" das sexuelle Motiv komplett aus. Selbiges trifft auf Almodovars schrille Regieeinfälle zu, die in diesem Exemplar familientauglicher Unterhaltung als Störfeuer wahrgenommen würden und schon deshalb in den Hintergrund gedrängt werden.

In Cannes bringt man Almodovar wenigstens noch die Anerkennung entgegen, die er verdient zu haben glaubt. Die Auszeichnungen für das "Beste Drehbuch" und das "Beste (weibliche) Ensemble" gingen in diesem Jahr an "Volver". Und zumindest der Preis für das Skript provoziert die Frage, nach welchen Kriterien die Jury geurteilt hat. "Volver" knüpft zwar an die bekannte frauenzentrierte Weltsicht des Spaniers an, ohne dabei jedoch den Sprachwitz früherer Almodovar-Werke zu erreichen. Nur selten blitzt in den Dialogen der schmerzlich vermißte trockene Humor auf. Stattdessen erlaubt sich der Film Scherze zwischen halbgarem Slapstick (Soles Versuche, die Rückkehr ihrer angeblich verstorbenen Mutter vor Raimunda zu verheimlichen, gehören in eine Sitcom) und fragwürdigem Klamauk.

Erst in der letzten Viertelstunde, wenn Raimundas Mutter reinen Tisch macht, schüttet auch "Volver" uns sein wahres Herz aus. Da entblättert sich vor unseren Augen Schicht für Schicht der emotionale Kern, der zuvor so schmerzlich vermißt wurde, eigentlich den gesamten Film hätte zusammenhalten müssen. Auf einmal ist sie wieder da, wie aus dem Nichts: die symbiotische Beziehung zwischen Weinen und Lachen. Dafür wird Almodovar schließlich geliebt, dafür wird er als europäischer Filmemacher gefeiert und respektiert. Gerade wenn ein Werk den verheißungsvollen Titel "Volver" trägt, hätte die Rückkehr zu alter Größe aber getrost etwas früher einsetzen können.

Erschienen bei evolver.

FFF 2006 - Severance & Bad Blood

Severance

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Der erhoffe große Spaß! Christopher Smith kann es also doch. Nach dem trashigen "Creep" zündet er in seinem zweiten Spielfilm ein schwarzhumoriges, dunkles Feuerwerk der guten Laune, mit einer gehörigen Portion Splatter und viele Anspielungen auf das Horror-Genre. Die meisten Pointen sitzen (das Bein! die beiden Blondinen!), auf Political Correctness gibt der Film genauso wenig acht, wie auf den guten Geschmack. So muss das sein. Ein kurzweiliger Eröffnungsfilm des diesjährigen FFF, der sich seinen Sonderapplaus verdient hat.


Bad Blood

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Eine schöne Verpackung ist nicht alles. Denn außer den schaurig-pittoresken Bilder der portugiesischen Landschaft und des typisch heruntergekommenen Landhauses besitzt "Bad Blood" nicht viel, um den Zuschauer zu fesseln. Die krude Geister-Mythen-Nummer ist nicht nur vorhersehbar und wenig innovativ, auch kommt weder Thrill noch eine wirklich bedrohliche Atmosphäre auf. Die Auflösung des Spuks lässt der Film bereits nach einer Stunde aus dem Sack, was folgt ist ein langwieriger Schlussakt mit den üblichen Zutaten (der Exorismus!). Bin wahrlich kein Freund religiös eingefärbten Horrors, weshalb es mich auch nicht verwundert, dass "Bad Blood" so ungerührt an mir vorbeizog.