Dienstag, Oktober 11, 2011

Melancholia - Bonjour Tristesse


DK/S/F/D 2011

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„It’s the end of the world“ könnte man frei nach R.E.M. Lars von Triers Melancholia überschreiben. Bei dem streitbaren Dänen geht es mal wieder um alles. Um menschliche Extremzustände, Verzweiflung, Trauer, Depression, Hass und das Ende der Welt. Unsere Erde ist in höchster Gefahr, droht doch ein riesiger Planet mit dem vielsagenden Namen „Melancholia“ in die Erdumlaufbahn zu crashen. Die Folgen des Zusammenpralls kann man sich leicht ausmalen, wenn man bedenkt, was bereits ein im Vergleich dazu winziger Meteorit vor Millionen von Jahren so alles angerichtet hat. Vor dieser tristen Kulisse findet in einem mondänen Schlosshotel eine rauschende Hochzeitsfeier statt.

Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgård) haben soeben den Bund fürs Leben geschlossen, richtig glücklich wirken beide danach aber nicht. Während um sie herum die Hochzeitsgesellschaft angeführt von Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) die für solch einen Anlass typischen Tagesordnungspunkte „abarbeitet“, zieht sich Justine immer mehr zurück. Es bedarf schon einige Überredungskunst bis sie schließlich zu den Feiernden zurückkehrt, scheinbar gut gelaunt, innerlich jedoch erschöpft, müde, traurig. Vor allem ihr Schwager John (Kiefer Sutherland) fühlt sich von Justines Verhalten persönlich angegriffen. Die Mühe und Anstrengungen der Hochzeitsfeierplanung scheint die Frischvermählte nicht zu schätzen. Auch das großzügige Jobangebot ihres Chefs (Stellan Skarsgård) schlägt Justine reichlich undiplomatisch aus. Und über allem schwebt „Melancholia“, der schon am nächsten Tag der Erde ziemlich nahe kommen soll.

Unterteilt in zwei in etwa gleich lange Teile – erst dreht sich alles um Justine, später dann um Claire – erkundet Lars von Trier menschliche Gefühlszustände, welche sich am ehesten als Variationen von Grau umschreiben lassen. Justine leidet offensichtlich an einer schweren Depression, über deren genaue Ursachen man nicht wirklich viel erfährt. Das drohende Ende der Welt scheint jedenfalls nicht der Auslöser zu sein. Eher schon fühlt sich Justine unverstanden, gelangweilt von einem für sie nur wenig erfüllenden Job als Werbetexterin und einer großen Leere in ihrem Leben. Daran ändert auch ihre Liebe zu Michael wenig, der sich ebenso hilf- wie machtlos fühlt.

Dabei ist Melancholia noch wesentlich lebensbejahender als dessen unmittelbarer Vorgänger Antichrist. Auch kommt der Film ohne große Schocks oder von Trier typische Tabubrüche aus, und so musste der Regisseur bei den Filmfestspielen von Cannes selbst für den erwarteten Skandal sorgen, als er auf einer Pressekonferenz Sympathien für Hitler äußerte und sich – vermutlich nicht ohne Ironie und Hintergedanken – als Nazi bezeichnete. Von Trier hatte erreicht, was er erreichen wollte. Er war wieder einmal Gesprächsthema und sein Film ein Aufmerksamkeitsmagnet. Dass die Jury Kirsten Dunst für ihre Rolle später sogar noch als „Beste Hauptdarstellerin“ auszeichnete, wird von Trier nach seiner Ausladung ebenfalls mit stiller Genugtuung verfolgt haben.

Mit Antichrist teilt sich Melancholia trotz sichtbarer Unterschiede in der Ausformung dunkler Seelenzustände seine zum Sterben schöne Einleitung. Erneut filmte von Trier Impressionen in extremer Zeitlupe, unterlegt von orchestraler Klassik und versteckten Wagner-Assoziationen. Der folgende Wechsel in den seit Dogma-Zeiten unverändert nervigen Handkameramodus fällt dadurch noch etwas unsanfter und härter aus. Wenngleich die teils unscharfen, teils bewusst schlampig gedrehten Aufnahmen Authentizität und Echtheit vorgaukeln sollen, so werden sie doch mit jeder weiteren Minute zu einem immer größeren Ärgernis, das bei manchen Zuschauern durchaus Kopfschmerzen verursachen könnte. Sozusagen als Trostpflaster schmuggelte von Trier aber auch einige großartige Bilder in sein anstrengendes Handkameraspiel ein. Die Aufnahmen von Justines Ritt durch die nebelbedeckte Landschaft könnten Teil eines Gemäldes von Caspar David Friedrich sein. An ein Grimm’sches Märchen erinnern wiederum manche Naturaufnahmen, die rund um das feudale Schloss samt 18-Loch-Golfplatz entstanden sind.

Anstrengend ist überhaupt vieles an einem Film von Lars von Trier. In Melancholia arbeitet sich der Däne wieder ausnahmslos an seinen eigenen Dämonen ab. Zusammengehalten wird diese öffentliche Therapiesitzung von einem Minimum an Handlung, die nicht selten langweilt und die es sich in ihrer Ausweg- und Hoffnungslosigkeit bequem gemacht hat. Es geht hier schließlich um das Ende der Welt und das nicht nur in einem übertragenen Sinne. Von Trier selber möchte seinen Film, glaubt man den Aussagen aus dem Presseheft, am liebsten „abstoßen wie ein Körper ein falsch implantiertes Organ“. Man darf vermuten, dass auch hinter solchen Statements bloßes Kalkül steckt. Hier strickt ein Exzentriker an seiner Legende. Am besten ist es, man lässt ihn dabei in Ruhe.

Für BlairWitch.de.