Samstag, Oktober 15, 2011

Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte


GB 2011

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Aus England kommt diese zarte und zugleich intensive Liebesgeschichte. Inszeniert und erdacht hat sie Paddy Considine, der zuvor vor allem als Schauspieler auf sich aufmerksam machte. Die Grundidee und Figuren aus Tyrannosaur sind Considines eigenem Kurzfilm Dog Altogether entnommen, den er vor vier Jahren ebenfalls mit Peter Mullan und Olivia Colman in den Hauptrollen abdrehte. Für die nun vorliegende Langfassung gab es beim renommierten Sundance Filmfestival gleich drei Preise – darunter jeweils einen für die beiden Hauptdarsteller, deren mutiges Spiel mit Sicherheit noch lange im Gedächtnis bleiben dürfte.

Filmkritik:

Kann man Empathie für einen Mann empfinden, der gleich in der ersten Szene aus offenbar angestautem Frust seinen Hund auf brutale Weise erschlägt? Joseph (Peter Mullan) ist alles andere als ein Sympathieträger und doch gelingt es Paddy Considine in seinem bereits mehrfach ausgezeichneten Film, dass sich der Zuschauer schon bald auf die Seite seines vom Leben gezeichneten Antihelden stellt. Joseph bereut seine schreckliche Tat bereits in dem Moment, in dem er sie begeht. Später trauert er in stiller Verzweiflung um seinen einzigen treuen Freund. Die Kampf gegen die eigenen Aggressionen, gegen Wut und Verzweiflung sind Josephs andere Wegbegleiter, von denen er nicht loszukommen scheint. Immer wieder suchen sich diese ein zerstörerisches Ventil.

Auf der Flucht vor sich selbst landet Joseph eines Tages im kleinen Charity-Laden von Hannah (Olivia Colman). Sanft, verständnisvoll und ohne Vorbehalte nähert sie sich ihrem Gast, der zunächst hinter einem Berg aus Anziehsachen ihren Blicken zu entkommen sucht. Auch seine anfänglichen Zurückweisungen nimmt sie ebenso wie sein beißender Spott über ihren Glauben ohne jede Kränkung hin. Das imponiert Joseph, der allmählich spürt, dass er sich zu Hannah auf eine ganz besondere Art hingezogen fühlt. Offenbar geht es seiner neuen Bekannten ähnlich, doch dem sich langsam entwickelnden Glück steht Hannahs unglückliche Ehe mit einem tyrannischen Ekel im Weg. Ihr Mann James (Eddie Marsan) – Typ Biedermann –demütigt und drangsaliert seine Frau bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit.

In Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte führt das Schicksal – oder je nach Interpretation auch eine höhere Macht – zwei zutiefst verwundete, in mehrfacher Hinsicht verletzte Seelen zusammen. Der Verlauf ihrer besonderen Beziehung mag nicht sonderlich überraschend oder gar spektakulär erscheinen, dafür liegen hier versteckt in kleinen Beobachtungen, Details und Gesten die größten Entdeckungen. Schauspieler, Regisseur und Autor Paddy Considine erzählt in einfachen, klaren Bildern von einer ehrlichen, aufrichtigen und intensiven Liebe, die für beide zum letzten Rettungsanker werden soll. Dabei geht von der Geschichte trotz der im englischen Arbeitermilieu allgegenwärtigen Härte und Tristesse eine besondere Poesie aus. Wenn Hannah und Joseph sich langsam näherkommen, dann hat dieses Kennenlernen fast etwas von einer unschuldigen Teenager-Liebe. Der Kontrast zu Josephs eruptiven Gewaltausbrüchen und den sadistischen Demütigungen durch Hannahs Noch-Ehemann könnte jedenfalls größer kaum sein.

Es ist genau dieses Spannungsfeld aus roher Gewalt und zarter Liebe, dem der Film seine Intensität und Kraft verdankt. Dazu kommen schlichtweg großartige Schauspieler. Peter Mullan und Olivia Colman verkörpern ihre schwierigen, oftmals widersprüchlichen Charaktere voller Hingabe und mit dem sicheren Gespür für jeden einzelnen Blick. Gerade der mit vielen „Working Class“-Rollen verbundene Mullan liefert einmal mehr eine kompromisslose Vorstellung. Für den auf düstere Charaktere abonnierten Eddie Marsan blieb hingegen nur die Rolle des triebgesteuerten Monsters, über das man abseits seiner sadistischen Neigungen leider kaum etwas erfährt. Offenbar war die Mühe und Genauigkeit, welche Considine für die anrührende Darstellung der Beziehung zwischen Hannah und Joseph aufbrachte, an diesem Punkt aufgezehrt.

Für Programmkino.de.